Bauwerke und bauliche bzw. technische Anlagen sind begehbar und hüllen den Betrachter in eine unüberschaubare Umgebung ein. Modelle von Bauwerken schaffen durch Verkleinerung Überblick und Anschaulichkeit. Grundlegend kann zwischen Entwurfsmodellen und Modellen nach gebauter Architektur unterschieden werden: Die ersten führen auf einen noch umzusetzenden Bau hin, die zweiten verweisen zurück auf bestehende Gebäude bzw. technische Anlagen.
Die ältesten noch erhaltenen Modelle sind solche von Bauwerken. Selbst der Begriff ist von Beginn an mit der Baukunst verwoben: ‘Modell’ leitet sich ab aus dem italienischen ‘modello’, was seit Mitte des 15. Jahrhunderts dreidimensionale, materielle Architekturmodelle bezeichnet (Mahr 2003, 62). Bereits im 14. Jahrhundert begleiten Entwurfsmodelle die Bauprojekte der italienischen Frührenaissance: Maßstäblich verkleinert und zum Teil in Originalmaterial angefertigt, erfüllten sie sowohl eine technische Versuchsfunktion als auch einen Vermittlungsanspruch gegenüber Auftraggebern (Lepik 1995, 11). Man kann sogar weiter zurückgehen und mittelalterliche Baldachine, ausgeführt als Kirchenmodelle, oder antike Grabbeigaben in Hausform dieser Modellart zurechnen. Die vornehmliche Funktion eines Architekturmodells ist jedoch der Entwurf eines zukünftigen Bauwerks, was seit der Renaissance bis heute in der kontinuierlichen Anfertigung von Modellen im Zuge von Ideen- und Formfindung und Entscheidungsprozessen wie Wettbewerben seine Gültigkeit beweist.
Im Unterschied zu anderen Planungsinstrumenten des Architekten, wie Zeichnung oder Berechnung, konkretisieren Entwurfsmodelle die Idee im Prozess der materiellen Formung und erlauben die Überprüfung von räumlichen Eigenschaften der zu realisierenden Architektur aus etlichen Blickpunkten (Janke 1978, 11). Zugleich bleibt den Modellen bei aller Sachlichkeit etwas Spekulatives, da das vorweggenommene Raumerleben letztlich imaginär bleiben muss (Stegmann 1995, 215 f.). Das hängt auch mit der für Modelle insgesamt typischen Material- und Größenverschiebung zusammen: Architektur wird proportional verkleinert und zugleich vereinfacht. Je kleiner der Maßstab, umso größer ist üblicherweise der Abstraktionsgrad, mit dem Ziel, einen Miniaturisierungs- bzw. Puppenhauseffekt zu vermeiden (Kleinmann 2003, 9). Ideen-, Arbeits- und Ausführungsmodelle markieren die aufeinanderfolgenden Stufen hin zur realisierten Architektur, wobei Ausführungsmodelle nicht unbedingt dem Entwurfsprozess angehören, sondern auch der Projektpräsentation für den Bauherrn dienen. Weiterhin erlauben Architekturmodelle die Klärung konstruktiver Fragen, da an ihnen Belastungsversuche durchgeführt werden können (Gänshirt 2007, 153). In dieser Verwendung stehen sie den Experimentalmodellen nahe. Suchendes, gestaltendes Handeln am Modell ist für viele Architekten zentraler Bestandteil des Entwerfens – Günter Behnisch bestand sogar darauf, dass die Materialwahl beim Modellbau die Architektur beeinflusst (Gänshirt 2007, 155). Ein großer Teil von Behnischs Modellen wird in Karlsruhe im Südwestdeutschen Archiv für Architektur und Ingenieurbau verwahrt.
Gegenüber den Entwurfsmodellen steht die Annäherung an Architektur aus zeitlich entgegengesetzter Richtung: Modelle nach gebauter Architektur rekonstruieren verloren gegangene Bauwerke oder bilden bestehende Gebäude zu Dokumentationszwecken im kleinen Format nach. So genannte ‘Kontrollmodelle’ beispielsweise dienen als Grundlage für Umbauten, Ausstellungsmodelle nehmen eine Stellvertreterrolle für Gebäude im musealen Kontext ein. Beispiele für letztere finden sich im Museum des Institutes für Geschichte der Arabisch-Islamischen Wissenschaften in Frankfurt am Main oder in der Religionskundlichen Sammlung der Philipps-Universität Marburg. Die verloren gegangene Kallenbach-Sammlung der Technischen Universität Berlin, Mitte des 19. Jahrhunderts von Georg Gottfried Kallenbach angelegt und beschrieben, bemühte sich im Zuge der Formierung eines mit der deutschen Nation verknüpften Kulturbegriffs um die Rekonstruktion mittelalterlicher Bauwerke.
Mit den architektonischen Lehrmodellen tritt seit Mitte des 18. Jahrhunderts eine neue Objektgruppe in den akademischen Lehrsammlungen auf (Reuther 1994, 12). Bereits kurz nach Eröffung der Göttinger Universität 1737 treffen das Modell der Schleuse zu Hameln sowie einer Londoner Themsebrücke ein; um 1830 versammelt die Göttinger Modellkammer eine beeindruckende Zahl von Modellen des Zivil- und Militärbaus. Im Kontext der Lehre an der Technischen Universität Bergakademie Freiberg wurden neben Modellen von Industrieanlagen und Brücken auch Konstruktionsmodelle zur Vermittlung von Mauerverbänden, Gewölbe- oder Fachwerksystemen eingesetzt. Ein bedeutender Protagonist ist Christian Friedrich Brendel, der im frühen 18. Jahrhundert die Anfertigung von Lehrmodellen für die Freiberger Bergakademie verantwortete. Bis zu Beginn des 20. Jahrhunderts betrieb diese Hochschule eine eigene Modellwerkstatt. Die Instrumentensammlung des Geodätischen Instituts der Universität Hannover verwahrt jüngere Modelle von Türmen für trigonometrische Vermessungen. Auch in der Gegenwart spielen Modelle bei der Ausbildung von Ingenieuren und Architekten eine wichtige Rolle: So wurde erst kürzlich an der Fachhochschule Oldenburg ein Projekt zur Vermittlung von Architekturgeschichte anhand des Nachbaus von Gebäuden der klassischen Moderne im Modell durchgeführt. Diese Lehrpraxis ließe sich mit ‘nachvollziehendem Modellbau’ überschreiben und birgt großes didaktisches Potential (Kleinmann 2003).
Abschließend soll auf eine Sonderform der Architekturmodelle eingegangen werden, die im späten 18. Jahrhundert als Kuriosum zunächst eine kleine, wohlhabende Käuferschaft an fürstlichen Höfen fand und später zum Teil an Akademien übergeben wurde: Hyperrealistische Modelle von Ruinen der römischen Antike, aufwändig in Kork ausgeführt, entstanden vor dem Hintergrund der romfokussierten Antikenrezeption des 18. Jahrhunderts. Der romantische Blick auf den Verfall wurde verbunden mit einer detaillierten Wiedergabe der antiken Relikte. Die ersten Korkmodelle wurden von Giovanni Altieri, Agostino Rosa und Antonio Chichi in Zusammenhang mit Giovanni Battista Piranesis zwischen 1745 und 1778 gestochenen Romveduten gefertigt, wobei Abmessungen vor Ort ebenso eine Vorlage lieferten wie bereits vorhandene Grund- und Aufrisse (Helmberger 1993, S. 163). Dieser hohe Anspruch auf Genauigkeit zielt auf Authentizität in der Wiedergabe antiker Architektur. Damit deckt sich die Materialwahl: Die Oberflächenstruktur des porösen Korks gleicht derjenigen der Vorbilder aus Travertin oder Tuff. Wenig überraschend ist also aufgrund des ästhetischen Reizes dieser Objekte der zeitweilige Einsatz als schmückende Tafelzierde, womit die Korkbildnerei, vorangetrieben durch den Konditor Carl May, im deutschsprachigen Raum erste Verbreitung fand. Dem Architekturmuseum der Technischen Universität München waren von 1913 bis 1945 Phelloplastiken Carl Mays und seines Sohnes Georg zugehörig (Helmberger/Kockel 1993, 124). Im Unterschied zu archäologischen Forschungs- und Lehrmodellen, die die antiken Bauwerke in Holz und weißem Gips rekonstruieren und beispielsweise an den Universitäten Münster, Erlangen-Nürnberg oder Göttingen zu finden sind, dokumentieren Korkmodelle zeitgenössische Ruinen. Deren exakte Wiedergabe brachte einige Begeisterte zu dem Standpunkt, dass sich der obligatorische Romaufenthalt während der Grand Tour erübrige. So kann man 1804 in der anonym veröffentlichen Schrift ‘Felloplastik’ lesen: “Akademien, Gimnasien und sonstige Bildungsanstalten können sich Kabinette von Roms erhabenen Trümmern anlegen, [...] die Ideen der alten Architektur werden so sehr faßlich, daß man der Reise zu den Originalen selbst überhoben ist [...]” (zit. n. Forssman 1993, 55). Der Grundgedanke der Entwurfsmodelle, die auf einen noch auszuführenden Bau hinleiten, wird durch die Korkmodelle umgekehrt: Hier überbietet das Modell das Bauwerk.