Informationssystem zu Sammlungen und Museen
an deutschen Universitäten
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Modelle von Lebewesen und biologischen Systemen

Modelle von Lebewesen und biologischen Systemen bilden in der Datenbank die quantitativ am stärksten vertretene Modellgruppe. Einerseits ist die Verbreitung derartiger Modelle durch ihre Nutzung in einer Vielzahl von Disziplinen wie Anatomie, Anthropologie, Botanik, Medizin, Paläontologie oder Zoologie zu erklären. Andererseits ist in all diesen Disziplinen die Darstellung von morphologischen und somit räumlichen Zusammenhängen gleichermaßen von systematischem wie von didaktischem Wert.

Auch wenn sich mitunter sehr viel ältere Nutzungen insbesondere von anatomischen Modellen nachweisen lassen, beginnt die professionalisierte Produktion und flächendeckende Verbreitung biologischer Modelle erst im 19. Jahrhundert. Von herausragender Bedeutung ist in diesem Zusammenhang Louis Auzoux, der ab den 1820er Jahren anatomische, botanische und zoologische Modelle in großen Mengen an Universitätssammlungen in ganz Europa absetzt (Grob 2000). Auch im deutschsprachigen Raum beginnen im 19. Jahrhundert Modellbauer mit der Produktion größerer Modellserien. Zu nennen sind hier u.a. die Embryonenmodelle von Friedrich und Adolf Ziegler (Hopwood 2002), die Glasmodelle von Invertebraten von Leopold und Rudolf Blaschka (Niepelt 2001) und die botanischen Modelle von Robert und Reinhold Brendel sowie Paul Osterloh.

Das Entstehen biologischer Modellbauwerkstätten wird gleichermaßen durch allgemeine Bedürfnisse an Universtäten wie durch spezifische Entwicklungen in den biologischen Disziplinen begünstigt. An den Universitäten des 19. Jahrhunderts steigen die Studentenzahlen rasant an, was die Nachfrage nach biologischen Lehrmodellen enorm erhöht. Diese werden insbesondere als Darstellungen morphologischer Zusammenhänge von Biologen des 19. Jahrhunderts geschätzt. Zudem entsteht in der Embryologie im Anschluss an Wilhelm His die Vorstellung, dass materielle Modelle als Forschungspublikationen zu nutzen seien, da sich anatomische Zusammenhänge in dreidimensionalen Repräsentationen besser als in einem Text darstellen ließen (Hopwood 2004). Entsprechend versteht sich die Modellwerkstatt der Zieglers als “Atelier für wissenschaftliche Plastik” und verweist auf etablierte Wissenschaftler als Autoren der embryologischen Modelle. Weitere wissenschaftliche Funktionen erhalten Modelle im Kontext der Medizin. So wurden etwa Wachsabformungen erkrankter Körperteile, sogenannte Moulagen, insbesondere zur Dokumentation von dermatologischen und venerologischen Krankheiten verwendet (Schnalke 1995).

Im 20. Jahrhundert wandelt sich die Rolle von biologischen Modellen in zahlreichen Aspekten. Es werden weiterhin große Serien von biologischen Modellen zu Lehrzwecken produziert. Zudem zentralisiert sich im Laufe des 20. Jahrhunderts die Herstellung von Lehrmitteln auf wenige Produzenten wie SOMSO oder das Deutsche Hygienemuseum in Dresden. Zugleich nimmt die Bedeutung von Modellen in der Lehre ab, wo experimentelle und mikrobiologische Aspekte zunehmend gegenüber morphologischen Zusammenhängen betont werden. Darüber hinaus gerät das Ideal von Modellen als Forschungspublikationen in Vergessenheit.

Trotz derartiger Entwicklungen bleiben Modelle häufig bedeutende Elemente in den Lebenswissenschaften. Zu erwähnen sind in diesem Zusammenhang auch Experimentalmodelle, die einen wichtigen Bestandteil lebenswissenschaftlicher Forschungspraxis darstellen können. Das bekannteste Beispiel bietet sicherlich das DNS-Modell von Francis Crick und James Watson. Unter Bezug auf Linus Paulings Methode des molekularbiologischen Modellbaus „war das wichtigste Werkzeug bei dieser Arbeit ein Satz von Molekülmodellen, die auf den ersten Blick dem Spielzeug der Kindergarten-Kinder glichen. […] Alles, was wir [Crick und Watson] zu tun hatten, war, einen Satz Molekülmodelle zu bauen und dann damit zu spielen – wenn wir ein bisschen Glück hatten, würde die Struktur eine Spirale sein” (Watson 1968, 78). Im Gegensatz zu Lehrmodellen werden Experimentalmodelle jedoch häufig nicht in Sammlungen aufbewahrt, da Wissenschaftler ihnen keine Bedeutung über das abgeschlossene Experiment hinaus zusprechen (siehe dazu Modell im Experiment).

David Ludwig


Literatur

Grob, Bart:
The world of Auzoux - Models of man and beast in papier-maché
Leiden 2000

Hopwood, Nick:
Embryos in Wax - models from the Ziegler studio
Cambridge 2002

Hopwood, Nick:
Plastic Publishing in Embryology
in: Models. The Third Dimension of Science. Hrsg. von De Chadarevian, Soraya; Hopwood, Nick, Stanford (Stanford University Press) 2004, S. 170-206

Niepelt, Meike; Wiegmann, Karlheinz (Hg.):
Kunstformen des Meeres. Zoologische Glasmodelle von Leopold und Rudolf Blaschka 1863-1890
Tübinger Kataloge, Band 95, Tübingen 2001.

Schnalke, Thomas:
Diseases in Wax. The History of the Medical Moulage
Erlangen (Quintessence Publishing) 1995

Watson, James D.:
The Double Helix
New York (Atheneum) 1968


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